Video-Spezial
Wem gehört die Stadt?
Am 1. Mai wird sich Berlin wieder in eine Kampfzone verwandeln - autonome Steinewerfer und Chaoten gegen die Polizei. Doch abseits der Krawalle tobt in den Kiezen ein Konflikt zwischen Linksradikalen und Reichen, Investoren und Künstlern. Ein Video-Spezial über die sozialen Kämpfe in der Metropole.
Berlin - Der Kampf um die Stadt verläuft zwischen Oben und Unten, zumindest am Berliner Spreeufer: "Im Moment gehört die Stadt im wesentlichen denjenigen, die das Kapital haben, diese Stadt zu kaufen." Martin ist Mediaspree-Gegner. Seine Mission ist der Widerstand gegen den Ausverkauf des öffentlichen Raums. Weil private Investoren das Berliner Spreeufer mit Neubauten zupflastern, ruft Martin zu zivilem Ungehorsam auf. Seinen Nachnamen möchte er darum lieber nicht auf SPIEGEL ONLINE lesen.
Der natürliche Feind der Mediaspree-Gegner sind Menschen wie Stefan Sihler. Der Projektmanager ist für den jüngsten Neuzugang in Beton am Spreeufer verantwortlich. Unter dem Namen "Labels 2" sind auf dem Gelände des ehemaligen Osthafens ein repräsentativer Neubau für die Textilbranche und damit 200 Arbeitsplätze entstanden. Sihler sagt: "Wir brauchen in Berlin dringend die Investoren und die Investitionen".
"Wir brauchen in Berlin dringend die Investoren und die Investitionen".
Der Streit am Spreeufer spiegelt die soziale Spaltung der Stadt wider. Denn die viel beschworenen Berliner Freiräume sind Fluch und Segen zugleich. Investoren wollen sie vermarkten, die Bürger wollen sich in ihnen austoben. Der berühmte Slogan "Berlin ist arm aber sexy", wie ihn Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit einst propagierte, konnte den Konflikt kaum entschärfen.
Die innere Logik der Auseinandersetzung verläuft nach dem immer gleichen Schema: Wenn sich Berlin am Ufer hübsch macht für Geschäftsleute und Touristen, dann sickert das Establishment aus den schicken Glaspalästen bis in Szene-Kieze wie Kreuzberg und Friedrichshain. Die Folge sind steigende Mieten. Wer die nicht zahlen kann, wird an den Stadtrand verdrängt. Was Wissenschaftler Gentrifizierung nennen, wird an Berliner Hausmauern auf die markige Formel: "Reiche raus aus dem Kiez!" verkürzt.
"Reiche raus aus dem Kiez!"
Ludwig Stoffel steht auf dem Balkon einer luxuriösen Penthouse-Wohnung hoch über den Dächern vom Prenzlauer Berg. Der bayerische Unternehmer baut hier zusammen mit seiner italienischen Frau Giovanna Stefanel 130 Eigentumswohnungen. "Marthashof" ist der Name der Mission vom besseren Leben. In Stoffels Worten heißt das: "Hier entsteht etwas einzigartiges. Nur Berlin bietet die Möglichkeit, Grundstücke in dieser Größe zu gestalten. Hier ist pulsierendes Leben, wie Paris Saint-Germain oder Manhattan vor 50 Jahren." Der Eintrittspreis in die schöne neue Welt liegt zwischen knapp 3000 und knapp 5000 Euro pro Quadratmeter.
Im Schatten der 13.000 Quadratmeter großen Baustelle trifft sich eine Gruppe Männer und Frauen in einem kleinen Altbau-Hinterhof. Sie sind der selbst organisierte Widerstand gegen das "Marthashof"-Projekt. In ihrer gleichnamigen Bürgerinitiative kämpfen sie gegen die radikale Veränderung ihres Viertels. Sie fragen sich, wie viel Aufwertung ihre Stadt verträgt und wer sie sich am Ende leisten kann. Jörg Schleicher schaut auf die Großbaustelle und sagt: "Wir bekommen hier tatsächlich 130 Wohnungen, wir nennen das eine anti-soziale Plastik."
"Wie viel Aufwertung verträgt die Stadt? Und wer kann sie sich leisten"
Nur wenige Kilometer Luftlinie vom Kreuzberger Spreeufer entfernt liegt der Kunger-Kiez. Der eigentlich unspektakuläre Stadtteil blitzte bislang eher selten auf dem Radar der urbanen Elite auf. Doch in den vergangenen Jahren ist das Quartier zum Eldorado für private Baugruppen geworden. Die Grundstückspreise sind noch bezahlbar, das Viertel bietet viel Grün, und kürzlich hat der erste Bio-Supermarkt eröffnet.
An einer Straßenecke mit Blick auf den Landwehrkanal plant die private Baugruppe "KarLoh" 20 Eigentumswohnungen. Seit Baubeginn wurde der Neubau mehrfach sabotiert. An der Fassade prangt ein Graffito: "Verdrängung hat viele Gesichter". Scheiben wurden eingeschlagen, Farbbeutel geworfen, "eben alles, was einem so einfällt, wenn man nachts an einer Baustelle vorbeikommt", meint Christian Schöningh. Der Architekt und Bauplaner des "KarLoh"-Projekts sagt: "Das ist eine Auseinandersetzung Linke gegen Linke. Die stehen teilweise auf der gleichen Seite der Barrikade. Nur der eine ist Mieter, und der andere baut sich mit anderen zusammen ein Haus."
Die Ironie der Geschichte: Wenn die künftigen Immobilienbesitzer aus ihren Fenstern schauen, blicken sie auf die Wagenburg "Lohmühle". Vor 20 Jahren, kurz nach der Wende, hat eine kleine Gruppe Autonomer den Platz entlang des ehemaligen Grenzstreifens besetzt. Heute bewohnen 20 Erwachsene und zwei Kinder den Platz: autark, selbstbestimmt und basisdemokratisch. Jürgen Hans, genannt "Zosch", ist auf dem Platz der Dienstälteste. Was die Eigentumsfrage angeht, hat "Zosch" eine dezidierte Meinung: "Eigentum ist schlecht. Wohneigentum ist schlecht. Wenn hier im Kiez über 120 Eigentumswohnungen entstehen, befürchten die Leute weitere Mietsteigerungen."
Mieter, Bauherren und Investoren ringen um die Zukunft der Stadt. Aus dem zuständigen Senat kommt wenig Hilfestellung. Berlin hat sich aus der Förderung von sozialem Wohnungsbau weitgehend zurückgezogen. Für ein Interview stand die zuständige Senatorin für
Stadtentwicklung>> Ingeborg
<<Junge-Reyer (SPD) leider nicht zur Verfügung. Der Grund seien Terminschwierigkeiten.