87 Prozent wollen Mediaspree versenkenBÜRGERENTSCHEID - Friedrichshain-Kreuzberg votiert klar gegen das Neubauquartier am Spreeufer. Die Bürgerinitiative erwartet eine deutliche Reduzierung der Pläne, ein Sonderausschuss konstituiert sich diese Woche. Von Karin Schmidl, Marin Majica (Berliner Zeitung 14.07.2008) BERLIN. Gedrückte Stimmung gestern Abend im Rathaus Kreuzberg: Die Bezirkspolitiker verfolgen, wie die Ergebnisse der Auszählung in den 88 Wahllokalen auf die Leinwand projiziert wird. Gegen 19.30 Uhr ist klar: Der Bürgerentscheid zur Mediaspree ist erfolgreich. Mit 19,1 Prozent beteiligten sich weit mehr als die nötigen 15 Prozent der rund 183 000 Wahlberechtigten. Auch mehr als im Vorjahr bei der Abstimmung über die Rudi-Dutschke-Straße, bei der gut 16 Prozent gewählt hatten. Bei "Mediaspree versenken" stimmte fast jeder fünfte Wahlberechtigte im Bezirk mit. Und von denen waren 86,8 Prozent für die Forderungen der Initiative "Mediaspree versenken".
Als das Ergebnis im Fernsehen verkündet wird, bilden sich im am Spreeufer gelegenen Strandclub Yaam Trauben vor dem Bildschirn. Als Carsten Joost, Mitbegründer von "Mediaspree versenken", dort zu sehen ist, wird im Yaam geklatscht. "Wir sind überglücklich", sagt Joost. Mit einem so guten Ergebnis haben selbst die Mitglieder der Initiative nicht gerechnet. Im Herbst wird es nun weitere Planungen für die Areale geben, auf denen das neue Viertel Mediaspree entstehen soll. "Wir gehen jetzt gestärkt in diese Verhandlungen", sagt Daniel Knopp, ebenfalls von der Initiative. Er hat ins Yaam zur Bürgerentscheid-Party einen Zettel mitgebracht, eine frisch ausgedruckte Pressemitteilung der Grünen im Bezirk, bisher Gegner von "Mediaspree versenken". Die Partei erklärt darin: "Grüne wollen Bürgervotum umsetzen." Daniel Knopp kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, "das ist ein ganz unmittelbarer Erfolg dieses Bürgerentscheids". Das Anliegen der Bürgerinitiative war in der ersten Frage des Abstimmungszettels formuliert und bedeutete zusammengefasst: weniger Neubauten, mehr Freiflächen am Spreeufer zwischen Elsen- und Michaelbrücke. Für den Konkurrenzantrag der Bezirksverordneten, der eine zehn Meter breite Uferpromenade und den Verzicht auf ein Hochhaus vorsah, stimmten 44,5 Prozent. Im Mediaspree genannten Neubauquartier am Spreeufer, auf einstigen Industriebrachen und Grenz-Niemandsland, wollen Investoren auf 180 Hektar für knapp drei Milliarden Euro Medienfirmen ansiedeln und schicke Büros, Hotels und Wohnungen errichten. 40 000 Arbeitsplätze werden versprochen. Die Pläne sehen auch Parks und Grünanlagen vor. Und eine durchgängige, zehn Meter breite Uferpromenade, die alle Investoren schaffen müssen. In Kreuzberg, wo die Gebäude bis an die Uferkante stehen, soll ein Holzsteg übers Wasser gebaut werden. Man mache das Spreeufer für alle nutzbar, heißt es bei den Stadtplanern. Die Initiative "Mediaspree versenken" fordert dagegen einen 50 Meter breiten, unbebauten Uferstreifen sowie den generellen Verzicht auf Hochhäuser. Für Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) ist der Entscheid eindeutig. "Wir beraten jetzt, wie er umzusetzen ist", sagt er. Die Botschaft sei klar: "Eine Mehrheit meint, dass das, was der Bezirk gegenüber Senat und Investoren erstritten hat, nicht ausreicht." Schulz betont: "Wenn Verhandlungen mit den Eigentümern und Investoren nicht dazu führen, dass sie ihre Vorhaben überdenken, müssen wir vom Bezirk Planungsänderungen vornehmen." Schadenersatzforderung droht Im Bezirksamt hatte man ausgerechnet, dass Investoren dafür mit 165 Millionen Euro entschädigt werden müssten. "Dies hat die Bürger nicht beeindruckt", sagt Schulz. Auch nicht, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dem Bezirk möglicherweise die Befugnis für das Spreeufer entziehen könnte - wegen der gesamtstädtischen Bedeutung des Gebietes. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) hatte bereits gemahnt, Absprachen mit den Investoren einzuhalten. Grüne und Linke sehen nun den Senat in der Pflicht. Vor allem bei Grundstücken, die landeseigenen Unternehmen wie der BSR und der Behala gehörten, müsse nachverhandelt werden - und zwar ohne dass auf den Bezirk hohe Entschädigungszahlungen zukämen. "Auch Investoren sollten begreifen, dass ihre Vorhaben auch davon profitieren, wenn sie von den Anwohnern angenommen werden", sagt die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Lisa Paus. Am Mittwoch will das Bezirksparlament einen Sonderausschuss berufen, in dem der Bezirk, die Initiative und die Investoren beraten, wie es weitergehen soll.
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