Kampf um Mediaspree geht in die zweite RundeDie Bürger von Friedrichshain-Kreuzberg wollen keine großen Bauprojekte am Spreeufer. Die durch den Entscheid düpierten Investoren pochen aber auf ihre Verträge. Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer verspricht ihnen Planungssicherheit – will das Verfahren aber beim Bezirk belassen. Und der muss nun Bürger-Votum und Baurecht unter einen Hut bringen. Von Isabell Jürgens (Morgenpost 14.07.2008) Nach dem erfolgreichen Bürgerentscheid gegen die Bebauung des Spreeufers in Friedrichshain-Kreuzberg ist eine erbitterte Debatte darüber entbrannt, wie mit den Forderungen des Votums umzugehen ist. Während die Initiative „Mediaspree versenken“, der Verein „Mehr Demokratie“ sowie die Kreisverbände von SPD und Grünen gestern forderten, den Bürgerwillen so schnell wie möglich umzusetzen, sicherte Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) den Investoren Planungssicherheit zu.
„Das Land Berlin ist ein verlässlicher Partner für alle Investoren, die sich auf Baurecht und städtebauliche Verträge berufen könnten“, sagte die Senatorin gestern – und erteilte damit Forderungen nach einer Neupositionierung in der Spreeraum-Entwicklung eine Absage. Alle bisherigen Planungen sähen bereits vor, den freien Zugang zum Wasser zu sichern, betonte Junge-Reyer. Nach dem Bürgerentscheid solle der „konstruktive Dialog“ zwischen Land, Bezirk, Investoren und Anwohnern aber fortgesetzt werden. Wie der aussehen soll, ließ die Senatorin jedoch offen. An dem Bürgerentscheid „Spreeufer für alle!“ hatten sich am vergangenen Sonntag 35.000 Wahlberechtigte (19,1 Prozent) beteiligt. Das waren weit mehr als die erforderlichen rund 27.400 (15 Prozent) der insgesamt 182.592 Wahlberechtigten im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Gegen das Projekt stimmten 87 Prozent. Nach Ansicht des Vereins „Mehr Demokratie“ war die Initiative damit das bisher erfolgreichste Berliner Bürgerbegehren. Bindend ist das Votum für den Bezirk aber nicht. „Trotzdem sollte sich der Bezirk ernsthaft bemühen, die Ziele der Initiative zu verwirklichen, soweit es die Hauhaltsordnung zulässt“, so Michael Efler vom „Mehr Demokratie“-Landesverband Berlin/Brandenburg. Genau das jedoch ist die schier unlösbare Aufgabe, vor der Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) jetzt steht. Schulz verwies auf einen Sonderausschuss, in dem Grundstückseigentümer und Bürgerinitiative nach einer einvernehmlichen Lösung suchen sollen. „Wie dann das Ergebnis aussehen wird, können wir noch nicht sagen“, so Schulz. Die Eigentümer würden angesichts der Bürger-Forderungen sicher nicht „jubeln“. Ein zweiter Weg, den Bürgerentscheid umzusetzen, sei eine Änderung des Bebauungsplans. Für diesen Fall rechnet Schulz mit Schadenersatz-Forderungen der Investoren in Höhe von knapp 165 Millionen Euro. Diese Zahlen werden von der Bürgerinitiative zwar angezweifelt, sie rechnen mit höchstens 50 Millionen Euro: Doch auch diese Summe ist für den Bezirk Geld, das er nicht hat. Senat will Verfahren den Bezirken überlassen Angesichts der Probleme, den Bürgerentscheid umzusetzen und gleichzeitig geltendes Baurecht einzuhalten, gibt es sowohl von Seiten der Gegner als auch der Investoren der Mediaspree die Forderung, dass der Senat das Verfahren an sich ziehen soll. Die Stadtentwicklungssenatorin lehnt dies jedoch strikt ab. Das Projekt sei beim Bezirk in guten Händen, heißt es in der Senatsverwaltung, die sich in anderen Bereichen weniger zurückhaltend zeigte. So liegt beispielsweise die Planungshoheit über das Areal des Flughafens Tempelhof nach der Einstellung des Flugbetriebs am 31. Oktober ausschließlich bei der Stadtentwicklungssenatorin. Den drei Anliegerbezirken Tempelhof-Schöneberg, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg wurde die planerische Zuständigkeit schon im Voraus entzogen. Begründet wurde dieser Schritt mit der „außergewöhnlichen stadtpolitischen Bedeutung“ des Flughafenareals. Warum dem Großprojekt Mediaspree, der Bebauung des Spreeufers auf einer Länge von 3,5 Kilometern zwischen Michael- und Elsenbrücke in unmittelbarer Nähe zum Zentrum der Hauptstadt, dieser Status bislang nicht zuerkannt wurde, war am Montag aus der Senatsverwaltung nicht zu erfahren. Zu Mauerzeiten verlief die DDR-Grenze zwischen den Ortsteilen Friedrichshain und Kreuzberg mitten im Fluss. Nach der Wende verfielen viele Industrieanlagen und Gewerbehöfe, auf den zahlreichen Brachen siedelten sich als „Zwischennutzer“ Strandbars und Klubs an. In den vergangenen Jahren wurden bereits einige Bauabschnitte des Konzeptes „Mediaspree“ umgesetzt. Medienfirmen wie Universal, MTV oder auch die Ver.di-Bundeszentrale haben sich angesiedelt. Das Modezentrum Labels I Berlin sowie die Multifunktions-Arena O2- World für 17.000 Besucher, die am 10. September eröffnet wird, sind fertig gebaut. Unter dem Namen „Mediaspree“ planen Großinvestoren am Spreeufer des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg Büro-, Wohn- und Veranstaltungsgebäude auf einer Baulandfläche von insgesamt 224.000 Quadratmetern. Das Investitionsvolumen beträgt insgesamt mehr als zwei Milliarden Euro. Nach „Mediaspree“-Angaben sind bereits 15.000 Arbeitsplätze geschaffen worden, rund 40.000 Arbeitsplätze sollen es insgesamt werden. Senatorin Junge-Reyer wies nach der Abstimmung erneut darauf hin, dass bereits in der gegenwärtigen Planung mehrere Kilometer lange öffentliche Uferpromenaden und Stege vorgesehen seien. Reine Büronutzungen werde es nicht geben, „Nischen“ für die kreative Szene würden gesichert. Die Bürgerinitiative reicht das jedoch nicht. Sie verlangt, dass Neubauten nicht näher als 50 Meter an die Spree rücken dürfen und keine Häuser entstehen sollen, die die Berliner Traufhöhe von 22 Metern überragen. Investoren pochen auf Verträge Bei den Investoren stoßen diese Forderungen auf Unverständnis. „Wir bauen ein architektonisch anspruchsvolles Tagungshotel im Osthafen“, so Peter Sauter, Geschäftsführer der Nippon Development Corporation. „Wo vorher das unzugängliche Areal eines alten Betonmischwerks war, schaffen wir einen öffentlichen Uferbereich.“ Auch Detlef Kornett, Europa-Chef der Anschutz-Gruppe betont, dass bereits weitreichende Zugeständnisse gemacht wurden. „Der für das Areal um die O* World bestehende festgesetzte und daher weiterhin gültige Bebauungsplan ist das Resultat von drei Jahren Abstimmungen mit dem Bezirk, dem Land Berlin, den Trägern öffentlicher Belange und nicht zuletzt zwischen den Bürgern von Friedrichshain-Kreuzberg und uns.“ Der öffentliche Zugang zur Spree sei ein Ergebnis der in diesem Zusammenhang getroffenen Vereinbarungen. „Dieser Spreeraum für alle ist im wesentlichen durch bereitgestellte Mittel von der Anschutz Entertainment Group ermöglicht worden“, so Kornett weiter. Anlass zu Umplanungen sieht der Europachef derzeit nicht. Dass dieser Optimismus nicht enttäuscht wird, verlangt auch die Industrie- und Handelskammer Berlin. „Das Bürgervotum gegen die Milliarden-Investitionen kann nicht einfach Baurecht und städtebauliche Verträge aushebeln“, sagte Hauptgeschäftsführer Jan Eder.
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