VON SVENJA BERGT, taz 12.07.2010
Es ist heiß und tatsächlich doch noch etwas voller vor dem Tacheles als an einem normalen Samstagnachmittag. Nicht nur Touristen, die staunend ihre Kameras zücken, stehen vor dem Gebäude. Tacheles-Nutzer und Freunde, Anwohner und Mitarbeiter sozialer und kultureller Projekte sind gekommen, um sich der Route Nummer 4 desMegaspree-Sternmarschs anzuschließen. Ein Sternmarsch, bei dem Demonstranten aus sechs Ecken der Stadt gegen eine Aufwertung von Kiezen und für mehr Mitbestimmung bei der Stadtentwicklungspolitik demonstrieren wollen.
"Hier geht es ums Tacheles, aber es geht genauso ums Acud, um den Schokoladen, um die kreative Mitte insgesamt", stellt Martin Reiter vom Tacheles den Fokus des Demoteils klar. Auf dem Transparent, das er drei jungen Männern in die Hand drückt, steht "Tacheles für alle. Rette deine Stadt". Rette deine Stadt, das ist gleichzeitig das Motto des gesamten Sternmarschs.
In der Menge vor dem Haus stehen Daria und Laura. Die Berlinerinnen sorgen sich um die Zukunft alternativer Räume. "Bestimmte Orte, die kulturell ausschlaggebend sind, an die man sich zurückziehen und wo man ganz man selbst sein kann, werden bedroht", sagt Daria. Dazu gehöre das Tacheles genauso wie das Spreeufer. An eine Rettung des Kunsthauses, das auf Weisung des Gläubigers HSH Nordbank in einem Monat geräumt werden soll, glauben sie nicht.
Aufwendiger Protest
Als der Demozug startet und in Richtung Rotes Rathaus zieht, reihen sich rund 200 Menschen ein zwischen die Wagen. Fast zur gleichen Zeit setzt sich auch am Mauerpark eine Menschenmenge in Bewegung. Hier sind es mehrere hundert Demonstranten, viele von ihnen tragen aufwendige Konstruktionen mit sich herum. Zwei Teilnehmer haben eine Trage mit kleinen Gebäuden gebastelt und ein Transparent daran gehängt. "Hier wurden Geheimverträge unterschrieben" steht darauf. Hinter ihnen laufen zwei Vertreter des Berliner Wassertischs, der gerade die zweite Stufe des Bürgerbegehrens zur Offenlegung der Verträge über die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe gestartet hat.
Vor der Brunnenstraße 183 stoppt der Pankower Zug. Das Hausprojekt war im November geräumt worden, seitdem steht das Gebäude leer. Die Fenster sind nur noch leere Höhlen, der Eingang verriegelt, vom "Umsonstladen", wo es alles kostenlos gab, ist nichts mehr zu sehen. Ein ehemaliger Bewohner ergreift das Mikro. "Wohnen ist kein Grundrecht, sondern eine Ware, das ist absurd", sagt er. Als er auf den Zustand des Gebäudes zu sprechen kommt, bricht seine Stimme, schnell reicht er das Mikro weiter und springt vom Wagen. Unten klopft ihm jemand auf die Schulter. Dann zieht die Menge weiter.
Zwischendurch entstehen für einige Augenblicke merkwürdige Ambivalenzen. Etwa, wenn kurz vor dem Rosenthaler Platz schwarz gekleidete Antifas "Yuppies raus" und "Antifascista" rufen, während auf den Wagen hinter ihnen der klebrige Popsong "I'm a barbie girl" läuft. Oder wenn fast der gesamte Zug auf die Redebeiträge der Zwischenkundgebung wartet, die aber nicht beginnen kann, weil der Technowagen die Musik nicht ausschaltet. Und der Moderator erst sagt: "Es dauert nur zehn Minuten, dann könnt ihr wieder feiern", und dann laute "Herkommen"-Rufe anstimmen muss, damit der Redner loslegen kann.
Doch insgesamt wirken Politik und Party nicht disharmonisch. Eher, als wäre aus einer Partybewegung, die ihre Nischen bedroht sieht, der Keim einer politischen Bewegung entstanden, die sich nun mit anderen mischt.
Ab in den Brunnen
Der Zug vom Tacheles kommt als Erstes am Roten Rathaus an. Martin Reiter parkt den Wagen schräg vor der Bühne, wohin sich sofort eine tanzende Gruppe abseilt. Gemeinsam erreichen die Züge aus Pankow und Moabit ihr Ziel, dann die Treptower, Friedrichshainer und Kreuzberger. Einige der Teilnehmer stürzen sich sofort in den Neptunbrunnen. Symbolische Unfallopfer aus Treptow mit Kunstblut im Gesicht mischen sich mit Ravern aus Mitte, Antifas stehen zwischen Mädchen mit Glitzerschminke. Polizei und Veranstalter sprechen später von 5.000 Demonstranten.
Auf grünen Luftballons steht auf der einen Seite "A 100 stoppen" und auf der anderen "Straßen nur zum Tanzen". Damit können sich vor dem Roten Rathaus wirklich alle anfreunden.
Insgesamt wirken Politik und Party nicht disharmonisch. Eher, als wäre aus einer Partybewegung, die ihre Nischen bedroht sieht, der Keim einer politischen Bewegung entstanden, die sich nun mit anderen mischt